Verhalten bei Terroranschlägen (II): Active Shooter

Florian Peil
von Florian Peil
Verhalten bei Terroranschlägen (II): Active Shooter

In Teil 2 der Serie „Verhalten bei Terroranschlägen“ geht es um die Handlungsoptionen für den Extremfall eines bewaffneten Angriffs durch sogenannte „Active Shooter“.

Dabei handelt es sich um einen oder mehrere Täter, der in einem begrenzten Umfeld (z.B. öffentliches Gebäude oder Nachtclub) möglichst viele Menschen zu töten versucht. 

Diese Active Shooter können sowohl Terroristen als auch Amokläufer sein. Der Begriff bezeichnet lediglich das Vorgehen, den sogenannten Modus Operandi, nicht aber die Motivation.

Anders als Sprengstoffanschläge lässt Ihnen ein Active-Shooter-Angriff unter Umständen mehr Handlungsspielraum. Entscheidend ist es, diesen zu nutzen. Je schneller Sie handeln, desto mehr Optionen bleiben Ih­nen.

Im Falle eines solchen Angriffs haben Sie grundsätzlich drei Möglichkeiten:

 

1 / Fliehen

2 / Verstecken

3 / Kämpfen

 

Fliehen

Fliehen ist bei einem bewaffneten Angriff grundsätzlich die beste Op­tion. Sobald Sie Schüsse hören, handeln Sie. Versuchen Sie zunächst, die Richtung zu identifizieren, aus der die Schüsse kommen. Bringen Sie dann, so schnell es geht, einen möglichst großen Abstand zwischen sich und den oder die Angreifer. Lassen Sie größere Gegenstände und Wertsachen zurück, die Ihnen bei der Flucht hinderlich sind. Sie können Ihren Laptop ersetzen, aber nicht Ihr Leben.

Versuchen Sie auf Ihrer Flucht, den Weg des oder der Schützen nicht zu kreuzen und nicht in seine oder ihre Schusslinie zu geraten. Sollte dies schwierig sein und es keine Möglichkeit zum Verstecken geben, bewegen Sie sich, so schnell Sie können. Eine offene, ungeschützte Fläche überqueren Sie im Zickzacklauf.

Selbst für geübte Schüt­zen ist es schwer, ein Ziel in Bewegung zu treffen. Erfahrungsgemäß konzentrieren sich Active Shooter stets auf das leichteste Ziel. Bewegen Sie sich also so viel wie möglich und suchen Sie immer wieder Deckung hinter Mauern oder massiven Ge­genständen wie Betonpfeilern, Fahrzeugen oder massiven Möbeln.

Glauben Sie nicht, was Sie im Kino sehen

Auf der Straße können Sie Zuflucht in Hausein­gängen suchen. Verlassen Sie sich nicht darauf, dass Fahr­zeuge und Möbel Schutz bei Beschuss bieten. Anders als in Kinofilmen häufig dargestellt, können Autos nur dann halbwegs verlässlich Geschosse abhalten, wenn sie ge­panzert sind.

Da dies in europäischen Ländern höchst selten der Fall ist, suchen Sie am besten Deckung hinter einer der beiden Achsen. Die Vorderachse bietet mehr Schutz, da hier noch der Motor davor liegt. Fahrzeuge und Möbel erfüllen vor allem einen Zweck als Sichtschutz.

Auf dem Weg hinaus aus der Gefahrenzone versuchen Sie, andere Menschen ebenfalls zur Flucht zu bewegen. Denn die meisten verfallen in einer solchen Situation in eine Panikstarre oder versuchen, sich als erste Reaktion zu verstecken. Vergeuden Sie indes keine Zeit damit, Men­schen, die nicht fliehen wollen, zur Flucht zu überreden. Damit bringen Sie sich selbst in Gefahr. Es geht um Sekunden.

Bleiben Sie nicht stehen, um Verwundeten zu helfen. Dies mag unmenschlich erscheinen, doch wenn aus ei­ nem Opfer unnötigerweise zwei werden, hilft dies allein den Terroristen. Auch Sicherheitskräfte, die am Tatort eintreffen, müssen die Verwundeten zunächst ignorieren. Ihr wichtigstes Ziel besteht darin, zunächst den oder die Schützen auszuschalten.

Sobald Sie sich außerhalb der direkten Gefahrenzone be­finden, rufen Sie die Polizei unter der Notrufnummer 110. Gehen Sie nicht davon aus, dass andere dies bereits getan haben. Halten Sie nach Möglichkeit Schaulustige davon ab, sich dem Ort des Anschlags zu nähern, damit diese sich nicht in Gefahr bringen. Gehen Sie immer davon aus, dass es noch weitere Schützen und auch weitere Tatorte geben könnte.

Verstecken

Sollten Sie bei einem bewaffneten Angriff nicht mehr fliehen können, verstecken Sie sich. Dies gilt etwa dann, wenn Sie sich in einem Gebäude befinden und der Schütze sich vor dem einzigen Ausgang postiert hat oder Sie sich in einem der oberen Stockwerke dieses Gebäudes aufhal­ten und die Flucht aus dem Fenster aufgrund der Höhe keine Option ist.

Suchen Sie ein geeignetes Versteck. Gut ist ein Ort, der Sie vor den Augen des Schützen verbirgt und vor Schuss­attacken abschirmt. Ungeeignet in einem Gebäude hin­ gegen wäre zum Beispiel ein Zimmer am Ende eines Flurs, das für Sie zur Falle werden kann. Befinden Sie sich in einem Bürogebäude, einem Hotel oder einer Schule, dann versuchen Sie, die Tür abzuschließen und sich mithilfe von Schränken, Tischen und Stühlen zu verbarrikadieren.

Machen Sie es dem oder den Schützen grundsätzlich so schwer wie möglich, den Raum zu betreten; im Zweifels­fall wird er weiterziehen und leichtere Opfer suchen, denn bis die Polizei eintrifft, bleibt ihm in der Regel nur wenig Zeit.

Schalten Sie das Licht in dem Raum aus und stellen Sie Ihr Telefon lautlos. Verhalten Sie sich still. Entfernen Sie sich von der Tür und den Fenstern, um aus der Schusslinie zu gelangen. Legen Sie sich flach auf den Boden und su­chen Sie Schutz hinter massivem Mauerwerk.

Sobald Sie sich versteckt haben, rufen Sie die Polizei. Ge­ben Sie Ihren Standort durch und halten Sie die Verbin­dung aufrecht, damit der Beamte am anderen Ende der Leitung Sie orten kann, sollten Sie nicht laut sprechen können.

Öffnen Sie nicht die Tür, wenn Sie sich nicht hundertpro­zentig sicher sind, dass es Polizisten oder Rettungskräfte sind, die davorstehen. Es kann vorkommen, dass Täter an die Tür klopfen und sich als Polizisten ausgeben oder aber um Hilfe rufen, um Sie auf diese Weise aus Ihrem Versteck zu locken. Prüfen Sie durch Fragen, wie viele Personen tatsächlich vor der Tür stehen: Sind es unterschiedliche Stimmen?

Die Polizei geht in solchen Situa­tionen im Team vor, sodass mindestens zwei, eher drei Personen vor der Tür stehen müssen. Vertrauen Sie in dieser Situation Ihrem Instinkt, nicht Ihrem Kopf. Sollten Sie keinen Raum finden, in dem Sie sich verste­cken können, suchen Sie einen Ort, an dem der Schütze Sie zumindest nicht sehen kann. Dies kann eine Besenkammer sein, ein Schrank oder vielleicht das Treppenhaus. Mit etwas Glück gelingt es Ihnen, die Flucht zu ergreifen, sollte der Angreifer sich wieder entfernen.

Kämpfen

Kampf ist die schlechteste, da gefährlichste Option in ei­ner Active­-Shooter­-Situation. Ohne vorheriges Training und Erfahrung im Umgang mit Gewalt ist es in der Regel keine gute Idee, einen bewaffneten Attentäter anzugreifen. Manchmal hat man jedoch keine andere Wahl. Dies gilt zum Beispiel in Zügen und in Flugzeugen, wo die Chan­cen, sich zu verstecken oder zu liehen, gering bis nicht vorhanden sind.

Wenn Flucht nicht möglich und kein Versteck in der Nähe ist, dann bleibt als letzte Möglichkeit nur, um das eigene Leben zu kämpfen – mit einer Ausnahme: Es gibt Situatio­nen, in denen Terroristen Geiseln nehmen und Sie somit eine Chance haben, von eingreifenden Sicherheitskräften ge­rettet zu werden, ehe Sie selbst kämpfen müssen.

Bei ei­nem Anschlag von Terroristen aus dem dschihadistischen Lager wie denen des Islamischen Staates (IS) oder von Al­-Qaida geht es zwar in erster Linie um das Töten möglichst vieler Menschen. Eine Geiselnahme ist dennoch möglich. Verhandlungen sind indes nicht geplant. Bei den bisheri­gen Anschlägen in Europa erfüllten die Geiseln lediglich den Zweck, die Dramatik der Situation und damit die Aufmerksamkeit der Medien zu erhöhen. So war es zum Beispiel beim Anschlag auf das Bataclan in Paris im No­vember 2015.

Wenn Sie aber erkennen, dass Ihr Leben ganz akut gefähr­det ist, dann müssen Sie kämpfen. Tatsächlich können unter glücklichen Umständen auch unbewaffnete Men­schen einen bewaffneten Attentäter ausschalten oder zu­ mindest dessen Morden verlangsamen und damit Men­schenleben retten.


Munition Patronen Hülsen

Fallbeispiel: Terroranschlag im Thalys-Zug 2015

Am 21. August 2015 stieg Ayoub El­-Khazzani in Brüssel in den Thalys-­Schnellzug nach Paris. Im Grenzgebiet zwi­schen Belgien und Frankreich begann er, mit einem Sturm­gewehr auf Passagiere zu schießen. Mehrere Reisende stürzten sich daraufhin auf den Attentäter, darunter zwei US­-Soldaten sowie ein britischer Geschäftsmann. Gemein­sam gelang es ihnen, den Angreifer zu überwältigen.

Der Brite Chris Norman sagte später im Interview, dass in dieser lebensbedrohlichen Situation seine Instinkte die Führung übernommen hätten:

»Ich dachte: Okay, ich werde vermutlich ohnehin sterben, also los. Ich wollte lieber aktiv sterben, bei dem Versuch, den Attentäter zu überwältigen, als einfach in der Ecke zu sitzen und erschossen zu werden. Entweder man sitzt und stirbt, oder man steht auf und stirbt. Mehr war es nicht.«

In Extremsituationen übernimmt der Instinkt

Das klingt martialisch, zeigt aber, dass Menschen in Ex­tremsituationen wie dieser nicht rational, sondern ins­tinktiv handeln. In einer solchen Situation übernimmt der Überlebenstrieb die Regie. Sie werden dann zu Dingen in der Lage sein, die Sie sich niemals zugetraut hätten. Vor­heriges körperliches und mentales Training können dazu beitragen, die Zeit der Entscheidung zum Handeln weiter zu verkürzen und die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs zu erhöhen.

Auch wenn Sie nicht entsprechend trainiert sind, sich aber dennoch entschließen, aktiv gegen einen bewaffneten An­greifer vorzugehen, dann kämpfen Sie mit all Ihrer Kraft und Entschlossenheit. Seien Sie so aggressiv wie mög­lich. Vermutlich geht der Attentäter nicht davon aus, dass er von Unbewaffneten angegriffen werden könnte. Da­mit haben Sie das Überraschungsmoment auf Ihrer Seite. Nutzen Sie diesen taktischen Vorteil, um den Attentäter aus dem Konzept zu bringen und ihn so langsamer zu machen. Allein damit können Sie Menschenleben retten.

Setzen Sie Gegenstände in Ihrer Reichweite als Waffe ein. Sie haben einen Laptop oder ein Tablet? Bewerfen Sie den Attentäter. In Ihrer Nähe hängt ein Feuerlöscher? Schleu­dern Sie diesen gegen den Aggressor oder besprühen Sie ihn mit Schaum. Schütten Sie ihm heißen Kaffee ins Ge­sicht. Sie haben eine Taschenlampe oder einen Laserpoin­ter? Blenden Sie den Angreifer. Seien Sie kreativ.

Kontrollieren Sie die Waffe

Bei einem Angriff auf den Attentäter muss es Ihr erstes Ziel sein, seine Waffe zu kontrollieren. Versuchen Sie, ihm diese zu entreißen. Ohne Schusswaffe kann er nicht mehr schießen. Dies verringert die Bedrohung deutlich. Wenn es nicht möglich ist, an die Waffe zu gelangen, versuchen Sie, die Schussrichtung zu kontrollieren. Setzen Sie dem Attentäter so stark zu, wie Sie können. Greifen Sie ihn dabei am besten von hinten oder von der Seite an. Da eine Schusswaffe nur in eine Richtung abgefeuert wer­ den kann, wird der Attentäter nicht in allen Fällen auf Sie schießen können.

Ist es Ihnen gelungen, den Täter zu entwaffnen, dann machen Sie ihn im nächsten Schritt kampfunfähig. Seien Sie nicht zimperlich. Beim Anschlag auf den Thalys-­Zug beispielsweise nahm einer der beiden Amerikaner das Gewehr des Attentäters und schlug damit auf ihn ein. Wie das Thalys-­Beispiel zeigt, kann der Kampf gegen ei­nen Einzeltäter erfolgreich sein. Dies gilt vor allem, wenn Sie als Team angreifen. Für einen Einzelschützen ist ein zeitgleicher Angriff durch mehrere Personen aus verschie­denen Richtungen kaum abzuwehren.

Die hier beschriebenen Prinzipien gelten auch für Atten­täter, die nicht mit Schusswaffen, sondern mit Hieb-­ und Stichwaffen ausgerüstet sind, wie etwa der Attentäter von Würzburg, der am 18. Juli 2016 in einem Regionalzug fünf Menschen verletzte, vier davon schwer. Er war mit einer Axt und einem Messer bewaffnet. Ein solcherma­ßen bewaffneter Täter ist ebenfalls hochgefährlich, aber gerade durch ein Team leichter in Schach zu halten, da er nicht aus der Distanz töten kann, sondern dazu in die di­rekte Nähe seiner Opfer gelangen muss.


Dieser Text ist ein Auszug aus meinem Buch Terrorismus – wie wir uns schützen können.


Foto: pxhere

MerkenMerken

MerkenMerken

MerkenMerken

MerkenMerkenMerkenMerken

MerkenMerken

MerkenMerken

MerkenMerken

MerkenMerkenMerkenMerken

MerkenMerken

MerkenMerken

MerkenMerken

MerkenMerken

MerkenMerken

MerkenMerken

MerkenMerken

MerkenMerken

MerkenMerken

MerkenMerken

Florian Peil
Florian Peil
Ich bin Florian Peil. Als Sicherheitsberater und Trainer stärke ich die Abwehrkräfte von Unternehmen und schule Menschen für den souveränen Umgang mit Risiko und Gefahr. Zuvor war ich Mitarbeiter einer Sicherheitsbehörde im Bereich Terrorismusbekämpfung. Als Islamwissenschaftler bin ich Spezialist für die Region Nahost und Nordafrika.
Kostenloser Newsletter

Hier die Blog-Artikel abonnieren.

Ihre Daten sind sicher. Hier ist unsere Datenschutzerklärung.
..