Verhalten bei Terroranschlägen (IV): Entführungen

Florian Peil
von Florian Peil
Verhalten bei Terroranschlägen (IV): Entführungen

In Teil 4 der Serie „Verhalten bei Terroranschlägen“ geht es um das richtige Verhalten bei Entführungen.

Weitere Verhaltenstipps finden Sie in den anderen Teilen der Serie: Teil 1 (Sprengstoffanschlag), Teil 2 (Active Shooter), Teil 3 (Brandanschlag).

Entführungen und Geiselnahmen durch Terroristen sind keine Terroranschläge im herkömmlichen Sinn. Dennoch gehören sie zum Repertoire von Terroristen in aller Welt. Als taktisches Mittel können Geiselnahmen Teil komplexer Terroranschläge sein. Denn sie helfen Terroristen, eine hohe mediale Aufmerksamkeit für ihr jeweiliges politisches Anliegen zu sichern.

Beispiele für Geiselnahmen als Teil von Terroranschlägen sind die Anschläge auf das Bataclan in Paris im November 2015 oder auf die Holey Bakery in Dhaka, Bangladesch, im Juli 2016.

Grundsätzlich gilt: Entführung ist nicht gleich Entführung. Es existieren zahl­reiche Varianten, da die Motive der Täter jedes Mal andere sind. So ist beispielsweise die Grenze zwischen Krimina­lität und Terrorismus in vielen Fällen fließend. Dennoch gibt es einige Verhaltensregeln, deren Einhaltung die Wahrscheinlichkeit des Überlebens im Entführungsfall erhöht. 

Risiko einer Entführung minimieren

Vorweg: Vermeiden Sie unnötige Risiken und wählen Sie Ihre Reiseziele bewusst.

Reisen Sie nicht in Regionen mit einem hohen Entführungsrisiko, wenn Sie nicht unbedingt müssen. Wenn Sie dennoch in solche Gebiete fahren, dann informieren Sie sich vorab genau über Ihr Reiseziel und planen Sie Ihren Reiseweg entsprechend, um das Ri­siko einer Entführung zu minimieren.

Sollten Sie dennoch Opfer einer Entführung werden, hal­ten Sie sich vor Augen, dass die Kidnapper ein Interesse daran haben, Sie – zumindest für eine Weile – am Leben zu erhalten. Ihre einzige Aufgabe besteht im Überleben.

In den meisten Fällen ist Flucht keine Option. Tatsächlich versuchen nur wenige Entführte zu fliehen, weil ihnen bewusst ist, dass sie ein Fluchtversuch das Leben kosten kann.

Das geringste Risiko liegt darin, sich passiv und ko­operativ zu verhalten und nicht aufzufallen. Widersetzen Sie sich nicht Ihren Entführern und provozieren Sie keine Gewalt.

Versuchen die Entführer, mit Ihnen zu kommunizieren, vermeiden Sie direkten Augenkontakt. Antworten Sie ehr­lich auf Fragen, denn in einer Stresssituation werden Sie nicht mehr alle vermeintlich trainierten Antworten re­konstruieren können und sich stattdessen in Widersprü­che verstricken. Das kann die Aggressivität der Entführer erhöhen und Ihre Überlebenschancen mindern.

Von Anfang geht es darum, den Schock des Kontrollver­lustes durch die Entführung zu mildern und den eigenen Handlungsspielraum nach und nach auszudehnen. Ihre Reaktion auf das Geschehen wird zunächst aus Furcht, Schock und einem Gefühl der Desorientierung bestehen. Mentale Übungen, ruhiges Atmen und Meditation kön­nen hier helfen. Über die Zeit wird sich die Situation sta­bilisieren.

Verhaltensregeln für den Fall einer Entführung

Folgende Verhaltensregeln erhöhen die Wahrscheinlich­keit Ihres Überlebens:

Gewinnen Sie so viel Kontrolle wie möglich zurück. Dies umfasst Ihren Geist ebenso wie Ihren Körper. Koope­rieren Sie und befolgen Sie die Anweisungen der Entfüh­rer, aber ziehen Sie innerlich klare Grenzen in Bezug auf Ihre persönlichen Werte und Einstellungen, sodass Ihre eigene Integrität gewahrt bleibt. Machen Sie sich klar, dass nicht Sie persönlich gemeint sind, sondern dass Sie als Mittel für einen bestimmten Zweck dienen.

Beschäftigen Sie Ihr Gehirn, um Panik zu vermeiden. Bestimmen Sie, was Sie denken, indem Sie sich selbst im­mer wieder neue Aufgaben stellen: Prägen Sie sich bereits zu Beginn der Entführung die Fahrtroute ein, schätzen Sie Zeitdauer und Zeitintervalle, versuchen Sie, Geräusche wahrzunehmen und einzuordnen: Befinden Sie sich in einer Stadt oder fahren Sie hinaus aufs Land? Dies hilft nicht allein, Ihre Panik zu kontrollieren, sondern kann den Sicherheitsbehörden später auch bei der Auf­klärung helfen.

Dasselbe gilt bei der Ankunft am Ort Ihrer Gefangenschaft: Vermögen Sie festzustellen, wo genau Sie sind? Hat man Sie im Keller eingesperrt oder sind Sie auf einem Dach­boden? Wie viele Türen und Fenster gibt es? Welche Geräusche hören Sie? Wenn man Sie in ein fensterloses Verlies gesperrt hat, können Sie Wege finden, das Verstrei­chen der Zeit auch ohne Uhr und ohne Tageslicht zu messen: Wie viele Mahlzeiten gibt es? Wann wechselt die Temperatur?

Es geht um Orientierung. 

Optimismus hilft beim Überleben

Für Ihr Überleben ist es von entscheidender Bedeutung, dass Sie optimistisch bleiben. Lassen Sie sich nicht hän­gen, machen Sie sich immer wieder bewusst, dass dort draußen andere Menschen an Ihrer Befreiung arbeiten. Ihre Entführer wollen in der Regel ebenfalls, dass Sie am Leben bleiben, denn tot nützen Sie ihnen nichts mehr. Sie sind ein Tauschgegenstand, ein Mittel zum Zweck.

Aus­nahmen hiervon sind Entführungen, bei denen Geiseln durch eine medienwirksame Inszenierung ihres Todes für die terroristische Propaganda instrumentalisiert werden. Der Islamische Staat (IS) machte 2014 und 2015 vor allem durch seine überaus brutalen Videos von Enthauptungen meh­rerer Geiseln von sich reden. Ein Pilot der jordanischen Luftwaffe wurde bei lebendigem Leibe verbrannt.

Eine der wichtigsten Voraussetzungen für Ihr Überleben im Entführungsfall ist Selbstrespekt. Zeigen Sie gegen­ über Ihren Entführern nach Möglichkeit weder Traurigkeit noch Schwäche, auch wenn es gerade zu Beginn einer solchen Gefangenschaft hart ist, sich an den Kontrollver­lust und die ungewohnten Umstände zu gewöhnen. Dies wird mit der Zeit einfacher.

Fitness und Hygiene erhöhen Ihre Resilienz

Trainieren Sie Ihren Körper. Tägliche Übungen verbes­sern Ihren körperlichen Zustand. Zudem helfen sie gegen die allgegenwärtige Langeweile der Gefangenschaft und wirken sich positiv auf Ihren mentalen Zustand aus. Damit Sie in Form bleiben, müssen Sie regelmäßig essen. Lehnen Sie das Essen nicht ab, das Ihnen die Entführer geben. Sie brauchen Energie, um zu überleben. Eine even­tuelle Angst, die Entführer hätten das Essen vergiftet, ist unbegründet. Es gäbe für sie leichtere Möglichkeiten, Sie zu töten.

Achten Sie auf Ihre persönliche Hygiene. Entwickeln Sie Routinen, um den eigenen Körper zu reinigen, soweit die Umstände dies erlauben. Eine über längere Zeit un­terlassene Körperhygiene kann in extremen Klimaverhält­nissen wie Wüsten oder Urwäldern fatale Folgen haben. Zudem ist Körperpflege Ausdruck Ihres Selbstrespekts und dient der Abgrenzung: Sie wollen nicht aussehen wie Ihre Geiselnehmer. Als Mann schneiden Sie wenn möglich Ihre Haare und rasieren sich. Tragen Sie, sofern es Ihnen er­laubt ist, weiterhin Ihre eigene Kleidung als Ausdruck Ihrer eigenen Persönlichkeit.

Bauen Sie eine persönliche Beziehung zu Ihren Entführern auf – in Maßen. Ihr Ziel sollte eine kontrollierte Kooperation sein. Bewahren Sie zu Anfang Distanz und gewinnen Sie zunächst einen Eindruck von Ihren Geisel­nehmern. Versuchen Sie, die unterschiedlichen Persönlich­keiten und Charaktere einzuschätzen: Wer ist Anführer, wer Mitläufer? Wer freundlich, wer ein Sadist? Sobald Sie diesbezüglich etwas Klarheit haben, etablieren Sie vor­sichtig und gezielt den Kontakt zu ausgewählten Geisel­nehmern.

Gelingt Ihnen das, können Sie eventuell Ihren Handlungsspielraum erhöhen, erhalten mehr Essen, dür­fen häufiger auf die Toilette oder können Ihren persön­lichen Komfort auf andere Weise steigern. Außerdem fällt es (psychisch gesunden) Menschen deutlich schwerer, diejenigen zu töten, zu denen sie eine persönliche Bezie­hung aufgebaut haben. 

Entführer und Entführte: gefährliche Nähe

Bei alledem ist dennoch höchste Vorsicht geboten: Geisel und Geiselnehmer werden durch die extreme Situation und die damit verbundenen emotionalen Belastungen ungewollt zusammengeschweißt. Die Grenzen zwischen beiden Parteien können gerade bei länger andauernden Entführungssituationen verschwimmen. So kann es pas­sieren, dass Geiseln ein positives emotionales Verhältnis zu ihren Entführern aufbauen und Sympathie und Verständ­nis für deren Sache entwickeln.

Dieses als »Stockholm­ Syndrom« bekannte psychologische Phänomen kann dazu führen, dass die Geiseln mit ihren Geiselnehmern koope­rieren oder diese gar gegenüber Polizei und Sicherheits­kräften zu schützen versuchen.

Im Anschluss an eine überstandene Entführung empfiehlt sich in jedem Fall eine psychologische Behandlung, um die extreme Situation bestmöglich zu verarbeiten und Folge­wirkungen möglichst zu mildern.

 

Dieser Text ist ein Auszug aus meinem Buch Terrorismus – wie wir uns schützen können.

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Florian Peil
Florian Peil
Ich bin Florian Peil. Als Sicherheitsberater und Trainer stärke ich die Abwehrkräfte von Unternehmen und schule Menschen für den souveränen Umgang mit Risiko und Gefahr. Zuvor war ich Mitarbeiter einer Sicherheitsbehörde im Bereich Terrorismusbekämpfung. Als Islamwissenschaftler bin ich Spezialist für die Region Nahost und Nordafrika.
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